Forschungsaufenthalt/ Reasearch Stay @ University of Cambridge

Philippe Jacquemin im Interview mit Lisa Kammholz über seinen Auslandsaufenthalt an der Universität Cambridge in England

2025/05/21

Willkommen zurück!

LK: Schön, dass du wieder da bist! Du warst jetzt mehr als 2 Monate in England. Wie geht es dir nach dieser Zeit und deiner Rückkehr an der TU Darmstadt?

PJ: Danke, es fühlt sich gut an, wieder hier zu sein. Die letzten Monate waren wirklich intensiv und bereichernd – sowohl beruflich als auch persönlich. Die Zeit in Cambridge hat mir wertvolle Einblicke und neue Perspektiven eröffnet, die ich nun in meine Arbeit hier einfließen lassen kann. Gleichzeitig ist es eine Umstellung, nach einer längeren Phase in einem anderen (akademischen) Umfeld wieder in den gewohnten Arbeitsalltag zurückzukehren. Insgesamt bin ich jedoch motiviert und freue mich darauf, die gewonnenen Erkenntnisse und Forschungsprojekte weiterzuverfolgen.

LK: Was war dein erster Eindruck, als du wieder in Deutschland angekommen bist?

PJ: Mein erster Eindruck war, dass alles vertraut und gleichzeitig leicht fremd wirkte. Nach der intensiven Zeit in Cambridge brauchte ich einen Moment, um mich wieder an den gewohnten Rhythmus hier zu gewöhnen. Es war interessant zu beobachten, wie sehr man sich an eine andere Umgebung und Arbeitsweise anpasst und wie deutlich einem das erst nach der Rückkehr auffällt. Cambridge ist allerdings auch eine Stadt, die einem das leicht macht, weil man sich direkt heimisch und vertraut dort fühlt. Gleichzeitig war es aber auch wieder schön, bekannte Gesichter zu sehen und in ein vertrautes Umfeld zurückzukehren. Und es sieht nicht mehr alles aus wie in den Harry Potter Filmen (lacht). In Cambridge war ich von einer ganz besonderen Atmosphäre umgeben – die historischen Colleges mit ihrer jahrhundertealten Architektur, die imposanten Kapellen wie die King's College Chapel, die weitläufigen Innenhöfe und die beeindruckenden Bibliotheken mit antikem Flair. Es sieht wirklich aus wie in den Filmen – die ja unter anderem an der University of Oxford gedreht wurden, dort sieht es nämlich genauso aus.

LK: Was hast du am meisten vermisst – beruflich oder privat?

PJ: Am meisten habe ich die persönliche Nähe zu meiner Familie, Kolleg:innen und Freunden vermisst. Auch wenn der Austausch in Cambridge sehr inspirierend war und ich viele neue Leute kennengelernt habe, fehlt doch das gewohnte Netzwerk, in dem man sich spontan treffen, austauschen und auf gemeinsame Erfahrungen zurückgreifen kann. Beruflich habe ich vor allem die eingespielten Abläufe und den direkten Kontakt zu meinem Team am Lehrstuhl vermisst – gerade, weil man bei neuen Projekten in der vertrauten Arbeitsumgebung einfach schneller ins Tun kommt.

Hintergrund zum Forschungsaufenthalt

LK: Wo genau warst du und wie lange ging dein Aufenthalt?

PJ: Ich war für etwas mehr als zwei Monate an der University of Cambridge, genauer gesagt am Institute for Manufacturing (IfM). Dort war ich für meinen Forschungsaufenthalt im Cyber-Human-Lab, welches sich darauf konzentriert Systeme zu entwickeln, die menschliche Fähigkeiten unterstützen statt ersetzen und die Arbeitsleistung in industriellen Kontexten verbessern.

LK: Wie kam es zu der Entscheidung, genau dort hinzugehen?

PJ: Die Entscheidung nach Cambridge zu gehen ergab sich durch die bestehende Kooperation, die wir bereits seit einiger Zeit mit dem Institut pflegen. Mehrere Forschungsaufenthalte in der Vergangenheit haben gezeigt, dass sich die inhaltlichen Schwerpunkte dort sehr gut mit unseren Forschungsinteressen überschneiden. Das Institut ist stark in der Entwicklung von Systemen zur Unterstützung menschlicher Fähigkeiten in industriellen Kontexten, insbesondere auch in Bezug auf immersive Technologien, was hervorragend zu meiner Forschung und meinen Forschungsprojekten passt. Zudem bietet Cambridge ein sehr interdisziplinäres Umfeld, in dem ich nicht nur wertvolle methodische Impulse erhalten, sondern auch gezielt an bestehende Projekte anknüpfen konnte. So war es eine logische Entscheidung, meinen Aufenthalt dort zu planen und die bestehenden Kontakte zu vertiefen.

LK: Gab es bestimmte Ziele oder Fragen, mit denen du in den Aufenthalt gestartet bist?

PJ: Ja, ich hatte vor dem Aufenthalt bereits einige Abstimmungsgespräche mit Cambridge und ein Forschungsthema weiterentwickelt, das die Stärken unseres Teams und des Instituts in Cambridge miteinander verbindet und das bereits von einer Kollegin am Lehrstuhl begonnen wurde zu untersuchen, was ich dann weiterführe. Dabei haben wir klare inhaltliche Schwerpunkte festgelegt, sodass wir direkt nach meiner Ankunft mit der inhaltlichen Arbeit und der Datensammlung vor Ort starten konnten.

Arbeit und Forschung vor Ort

LK: An welchem Projekt oder Thema hast du während des Aufenthalts gearbeitet?

PJ: Da sich das Institut intensiv mit immersiven Technologien beschäftigt, ähnlich wie ich es in meinen Projekten tue, war es für mich besonders interessant, die Rahmenbedingungen und Richtlinien für die Durchführung von Experimenten in diesem Bereich genauer zu untersuchen. Ziel ist es herauszufinden, wie solche Experimente optimal konzipiert und umgesetzt werden können, um sowohl wissenschaftlich fundierte Ergebnisse zu erzielen als auch die technologische Integration bestmöglich zu gestalten. Dabei ging es insbesondere darum, bewährte Ansätze aus Cambridge kennenzulernen und mögliche Synergien für unsere eigenen Experimente zu identifizieren. Parallel dazu habe ich weiterhin meine Aufgaben in meiner Rolle als Wissenschaftlicher Mitarbeiter an der TU Darmstadt wahrgenommen – dazu gehörten Lehre oder auch die Betreuung von Abschlussarbeiten und des Seminars. Auch meine Arbeit für das Projekt ZUKIPRO habe ich natürlich fortgeführt, was besonders spannend war, da ich in Cambridge wertvolle Erkenntnisse gewinnen konnte, die ich jetzt gezielt weiterentwickeln und in die Praxis im Rahmen von Workshops innerhalb von ZUKIPRO an Unternehmen übertragen und weitergeben kann.

LK: Mit welchen Forschenden hast du zusammengearbeitet?

PJ: Während meines Aufenthalts habe ich eng mit dem Leiter des Instituts zusammengearbeitet – an dieser Stelle ein großes Dankeschön für seine wertvolle Unterstützung und die intensiven fachlichen Impulse. Zudem war ich im stetigen Austausch mit einer Ko-Autorin, die auch an dem Projekt beteiligt ist, was es uns ermöglicht hat, unsere jeweiligen Arbeiten gut zu koordinieren. Wir haben gemeinsam das Projekt von einer Kollegin übernommen, die ebenfalls bereits dort war und den Grundstein für dieses Thema gelegt hat – hier auch nochmals vielen Dank an sie für die wertvolle Vorarbeit und Unterstützung. Vor Ort habe ich außerdem mit einigen Doktorand:innen zusammengearbeitet und hatte die Gelegenheit, selbst als Proband bei deren Experimenten teilzunehmen. Das war besonders spannend, da ich so aus erster Hand erleben konnte, wie sie ihre Studien konzipieren und durchführen. Diese Einblicke haben mir gezeigt, welche methodische Ansätze sie verfolgen und welche Details bei der Planung und Durchführung besonders wichtig sind.

LK: Gab es besondere methodische oder fachliche Impulse, die du mitgenommen hast?

PJ: Während meines Aufenthalts hatte ich auch die Gelegenheit, an einer Metaverse-Messe teilzunehmen, bei der der Fokus besonders auf Resilienzstrategien für Krisensituationen lag. Es war spannend zu sehen, wie immersive Technologien genutzt werden, um Szenarien für Krisenmanagement und Notfallplanung zu simulieren und zu trainieren. Diese Anwendungen zeigen eindrücklich, welches Potenzial das Metaverse bietet, um realitätsnahe Trainingsumgebungen zu schaffen, in denen komplexe Krisensituationen erprobt werden können. Die dort gewonnenen Eindrücke sind besonders relevant für meine Forschung, die sich dem aufstrebenden Ökosystem des Metaverse als Ganzes widmet.

LK: Wie hat sich der Forschungsalltag vor Ort von dem an unserem Lehrstuhl unterschieden?

PJ: Bei uns in der Arbeitsgruppe in Cambridge sind immer viele vor Ort, einige arbeiten aber auch remote und sind weltweit verteilt, was dazu führt, dass der Austausch oft virtuell stattfindet und Meetings flexibel über Zeitzonen hinweg koordiniert werden. Gleichzeitig sind die Büros und das Gebäude, in dem wir waren, eher als offene Bürostrukturen konzipiert, die den spontanen Austausch fördern und es erleichtern, Ideen unmittelbar zu diskutieren – auch übergreifend zu anderen Fachgebieten. Es gibt eine große Fläche mit Sitzgelegenheiten und eine offene Küche für Mitarbeitende – da kommt man immer schnell in den Austausch. Dadurch entsteht eine dynamische Arbeitsatmosphäre, die stark auf Kollaboration und kontinuierlichen Dialog ausgerichtet ist – ein spannender Kontrast zu den eher abgeschlossenen Arbeitsbereichen der einzelnen Fachgebiete im alten Hauptgebäude bei uns.

Persönliche Erfahrungen & Highlights

LK: Was war für dich das Highlight deines Aufenthalts – beruflich oder kulturell?

PJ: Ein absolutes Highlight meines Aufenthalts in Cambridge war zweifellos das traditionelle Boat Race zwischen der University of Cambridge und der University of Oxford. Dies ist ein jährlich stattfindendes Ruderrennen auf der Themse zwischen den beiden Universitäten. Es wurde erstmals 1829 ausgetragen und findet seit 1845 auf dem 6,8 km langen „Championship Course“ zwischen Putney und Mortlake in London statt. Die Rivalität zwischen den beiden Universitäten ist tief verwurzelt und spiegelt sich nicht nur im akademischen Bereich als zwei der besten Universitäten weltweit, sondern auch im Sport wider. Insgesamt fand ich die starke Identifikation der Studierenden mit ihrer Universität und ihrem College besonders beeindruckend, da man das aus Deutschland so eher nicht kennt. Der Sport, insbesondere das Rudern, spielt eine zentrale Rolle im studentischen Leben. Diese Erfahrung hat mir gezeigt, wie Sport und akademische Exzellenz Hand in Hand gehen können und wie Traditionen dazu beitragen, ein starkes Zugehörigkeitsgefühl und Engagement innerhalb einer Universität zu fördern.

LK: Gab es eine besondere Begegnung oder ein Erlebnis, das dir im Gedächtnis geblieben ist?

PJ: Ein besonders eindrucksvolles Erlebnis während meines Aufenthalts war der Besuch der Westminster Abbey in London. Obwohl ich schon oft davon gehört hatte, war es mein erster Besuch vor Ort, und die historische Atmosphäre war wirklich beeindruckend. Die Abtei ist nicht nur ein architektonisches Meisterwerk, sondern auch ein Ort voller Geschichte – von königlichen Krönungen bis hin zu den Grabstätten vieler bedeutender Persönlichkeiten wie Isaac Newton, Charles Darwin (der übrigens auch in Cambridge studiert hat) und Stephen Hawking. Die Verbindung von Geschichte, Architektur und der Bedeutung dieses Ortes hat mich nachhaltig beeindruckt. Es war ein Moment, der einem bewusst macht, wie stark historische Orte die Gegenwart prägen und wie tief verwurzelt Traditionen sein können.

LK: Welche Herausforderungen hast du erlebt – und wie bist du damit umgegangen?

PJ: Mein Arbeitsweg war definitiv eine (lacht). Da Cambridge sehr, sehr teuer ist was leben und wohnen angeht, hatte ich eine Unterkunft ca. 30min mit dem Fahrrad von meinem Arbeitsplatz entfernt. Zwar ist Cambridge sehr fahrradfreundlich, da viele Menschen das Fahrrad bevorzugen, allerdings ging es etwa 30 Minuten quer durch Parks, über kleine Brücken und gefühlt immer leicht bergauf. Das war an den wenigen schlechten Tagen bei britischem Wetter mit Regen und Wind eine Herausforderung.

Rückblick & Ausblick

LK: Was nimmst du aus der Zeit für deine weitere Forschung mit?

PJ: Aus meiner Zeit in Cambridge nehme ich vor allem neue Erkenntnisse darüber mit, wie Experimente mit immersiven Technologien effektiv durchgeführt werden können. Der Austausch vor Ort hat mir wertvolle Einblicke in die Planung und Umsetzung solcher Studien gegeben – von der Auswahl geeigneter Szenarien bis hin zur Gestaltung von Testumgebungen. Es war besonders hilfreich, diese Ansätze direkt vor Ort zu erforschen und zu erproben, um sie nun gezielt einerseits in meine eigenen Projekte hier weiterzuführen, andererseits aber auch das Forschungsprojekt zu genau diesem Thema zu finalisieren und hoffentlich bald zu veröffentlichen. Diese Verbindung aus praktischer Umsetzung und theoretischer Reflexion hat meinen Blick auf die Möglichkeiten und Herausforderungen immersiver Technologien deutlich geschärft.

LK: Gibt es neue Kooperationen oder Anschlussprojekte, die daraus entstanden sind?

PJ: Aktuell steht zunächst der Abschluss unseres laufenden Projekts im Vordergrund. Gleichzeitig verfolge ich weiterhin die Projekte in Cambridge, bei denen ich als Proband bzw. im Austausch mitgewirkt habe, um mögliche Anknüpfungspunkte für zukünftige Kooperationen zu identifizieren. Da unsere Forschungsschwerpunkte sehr gut zueinander passen und ich wertvolle, langfristige Kontakte knüpfen konnte, bin ich zuversichtlich, dass sich in naher Zukunft neue Möglichkeiten für gemeinsame Projekte ergeben werden.

LK: Hast du einen Tipp für Kolleg:innen, die selbst über einen Forschungsaufenthalt nachdenken?

PJ: Auf jeden Fall: Frühzeitig Kontakt aufnehmen und die eigenen Forschungsinteressen klar formulieren. Es hilft enorm, bereits vor dem Aufenthalt konkrete Themen und Fragestellungen zu definieren, um vor Ort direkt in die inhaltliche Arbeit einsteigen zu können. Außerdem lohnt es sich, bewusst Zeit für den Austausch mit anderen Forschenden einzuplanen – sei es durch gemeinsame Meetings, Teilnahme an Projekten oder auch einfach informelle Gespräche. So entstehen oft wertvolle Kontakte, die auch über den Aufenthalt hinaus bestehen bleiben.

Abschluss

LK: Drei Worte, die deinen Forschungsaufenthalt am besten beschreiben?

PJ: Inspirierend, intensiv, vernetzend.

LK: Gibt es noch etwas, das du gern teilen möchtest?

PJ: Ich kann nur jedem, der die Möglichkeit hat, einen Forschungsaufenthalt im Ausland zu machen, empfehlen, diese Chance zu nutzen. Es ist nicht nur fachlich bereichernd, sondern auch eine wertvolle persönliche Erfahrung. Man bekommt neue Perspektiven auf die eigene Arbeit, knüpft internationale Kontakte und lernt, sich in einem anderen akademischen Umfeld zu bewegen. Rückblickend war die Zeit in Cambridge nicht nur intensiv und lehrreich, sondern hat auch meinen Blick auf Forschung und Zusammenarbeit nachhaltig geprägt.